50 Jahre Gerhard Hradetzky

Chororgel Schlägl Hradetzky 1966

Im Frühsommer 1965 musste Gerhard Hradetzky nach Rücksprache mit seinem Hamburger Meister von Beckerath, der ihn nur ungern ziehen ließ, wieder in den Familienbetrieb zurück. Die Firma stand vor dem finanziellen Niedergang, sein Vater war ziemlich verzweifelt. Zu viele Aufträge waren nach den Prestigeaufträgen Innsbruck und Wien nicht gut durchgeplant, halbfertig und Zahlungen wegen Lieferrückstand eingestellt.

Instrumente wie die Chororgel Stift Schlägl, Traunstein im Waldviertel, Guter Hirte in Linz, Traisen, NÖ, oder die neue Chororgel in der Stiftskirche von Klosterneuburg galt es so rasch wie möglich fertigzustellen. Mit acht Stunden Tagesarbeitszeit war es dabei nicht getan, bis hin zur Erschöpfung wurde oft 12h bis 17h gearbeitet!

Der Lehrsatz für eine gute Ausbildung: „Entweder du findest einen großen Meister und lernst, wie man es macht, oder du arbeitest bei einem schwachen, um zu erfahren wie man es nicht macht“ durchlebte Gerhard von nun an in der zweiten Form, welche ihn jedoch aufgrund der vielen unerwarteten, technisch wie klanglich zu lösenden Probleme kreativ und stark machte.

Der überaus vielseitige Orgelbauberuf und vor allem die Klanggestaltung einer Orgel ist nicht nur anspruchsvolle handwerkliche Disziplin, sondern auch eine musikalisch höchst feinsinnige Arbeit, welche feinstes Gehör und langjährige Erfahrung erfordert. Beides galt es noch zu schulen, wozu Gerhard bereit war und jetzt sollte er sehr bald die Gelegenheit dazu bekommen.
Neben dem Bau und der Organisation von Großorgeln wurde in ihm während seiner Hamburger Jahre auch das musikalische Verständnis für Raumgefühl und gute Klänge geweckt. Feine Klangunterschiede, Klangfarben und Tonnuancen empfand er bereits so wie ein Maler die Farben auf seiner Leinwand. Mit Kenntnis der mechanischen Großorgeln in den USA und Norddeutschland hatte er schon sehr früh die Möglichkeit über den „Tellerrand des Gewöhnlichen“ zu blicken und war bereit mehr als „nur einfach Orgeln“ zu bauen.

Mitte 1966 waren die Rückstände der Gollini-Ära bereits aufgeholt und Gerhard konnte mit eigenen Konzepten beginnen. In dieser Frühphase seiner Arbeit orientierte sich der junge „Klangdesigner“ noch am fleißig Gelernten während der Hamburger Jahre, was nicht wirklich der Vorstellung damaliger Wiener Organisten entsprach. Diese huldigten ja bekanntlich dem „dänischen Klangideal nach Marcussen“, d.h. sehr obertonorientiert und dem Neobarock. Gerhard Hradetzky bei der Vorintonation in der Werkstatt Krems 1967

Wirkung der Obertöne: Der Anteil der Obertöne am Spektrum des Orgelklanges und die daraus resultierende Klang-Farbe wird u.a. durch Begriffe wie Brillanz, Schärfe, Härte, Klarheit, Dumpfheit, sowie Wärme beschrieben.

Ganz im Gegensatz zu Beckerath, der durch sein eher impressionistisches, vielfarbiges Klangbild“ mit spürbar französischem Einfluss berühmt wurde.

OBM Rudolf von Beckerath (1907- 1974): Beckerath arbeitete mit Unterbrechung von 1929 bis 1935 bei dem Pariser Orgelbauer und Nachfolger von Cavaille Coll, Victor Gonzales, wo er ab 1931 sogar Teilhaber des Unternehmens war.

Erste Gerhard Hradetzky Orgel 1966 Sindelburg Erste Arbeiten dieser Zeit waren die Orgel in Sindelburg a.d. E. noch im historischen Gehäuse (1966), danach folgte die Orgel im Bindermichel in Linz, mit seltenem „Hamburger Prospekt“ aus der Hand der 3. Generation, heute eine „Zeitzeugin der 60iger Jahre.

Während „Wien“ noch verwundert oder gar enttäuscht die „Beckerath-Schule“ mit Mühe goutierte, erfreute sich ein ganz anderes Klientel am „impressionistischen Hradetzky Stil“.

Amerikanische Musikstudenten in Wien waren begeistert, traf doch dieser neue Klang genau deren musikalischen Nerv, nicht umsonst war Beckerath schon seit 1954 (Cleveland) Wegbereiter des mechanischen Orgelbaues in den USA.

St. Louis Priory Hradetzky 1967Mit der ersten Hradetzky-Orgel 1967 für den amerikanischen Mittelwesten in der St. Louis Priory traf der junge Intonator klanglich ins Schwarze.

Ohne den Kirchenraum zu kennen, lediglich nach Studium der Pläne und akustischen Gegebenheiten der einzigartigen Kirchenarchitektur gelang ihm das Kunststück eine noch heute gültige Klangikone zu schaffen, auf der über die Jahre praktisch alle großen internationalen Konzertorganisten ihr Können zeigten.

Folgeaufträge an führenden kalifornischen Universitäten bestätigten seine Arbeit und sein klangliches Gespür.

In dieser Zeit lernte Gerhard auch Peter Planyavsky (Plany) kennen, welcher nach Beendigung seines Orgelstudiums unter Anton Heiller ein Orgelbau-Praxisjahr bei Hradetzky absolvierte. Das Zusammenfinden beider Künstler sollte über Jahre für eine gemeinsame kreative Entwicklung sorgen.
Mit dem Erfolg der ersten Hradetzky-Orgel in der St. Louis Priory ging Gerhard gestärkt auf weitere Großaufgaben zu. Götzis, Vbg., St Ursula, Musikhochschule Wien; Große Stiftsorgel von Melk; Stadtpfarrkirche Bregenz oder Royal College of Musik, Manchester England, um nur einige zu nennen. Nicht zu vergessen sind dabei St. Nikolaus, Meran und die viermanualige Orgel von St. Andrews in Schottland.
Dabei bemühte er sich immer Neues zu schaffen und mit neuen Klängen zu experimentieren, ohne jedoch die entscheidenden technischen Funktionen der Instrumente zu vernachlässigen. Dem künstlerischen Aufstieg der Hradetzky-Orgeln folgte gegen Ende der 60iger Jahre bald der wirtschaftliche Aufschwung.
Doch wie so oft verleitet Erfolg zur finanziellen Maßlosigkeit und wieder schlitterte der Orgelbaubetrieb in die roten Zahlen.
Mit dem Bedürfnis weiter zu lernen und seine Meisterprüfung zu machen gelang es ihm schlussendlich mit Zustimmung von Vater Gregor die renommierte Orgelbaufachschule in Ludwigsburg bei Stuttgart zu besuchen! Allerdings nur unter der Bedingung, dass dadurch kein Auftrag in Rückstand zu geraten hatte.
Und so pendelte Gerhard als einziger seiner Meisterklasse in seinen Ferien zwischen Ludwigsburg und Orgeln hin und her, dem Willen des Vaters gehorchend. Mit einem „Fachdiplom mit Auszeichnung“ in der Tasche war „nur“ noch das Meisterstück (sozusagen das „große Praktikum“) ausständig und mit der sogenannten Übungsorgel „Planyavsky“, von Anton Heiller am 4. Oktober 1973 persönlich eingeweiht, stellte er der Öffentlichkeit sein erstes völlig eigenständiges Orgelwerk mit innovativ technischem wie klanglichem Konzept überzeugend vor.

Die unterschiedlichen fachlichen Anschauungen zwischen Vater und Sohn wurden immer offensichtlicher, wobei die wirtschaftlichen Spannungen im Kremser Betrieb ein Zusätzliches beitrugen. Im Sommer 1973 kam es zum endgültigen Bruch und zur unweigerlichen Trennung von Generation II und III.
Mit zwei Meistertiteln in der Hand war Gerhard Hradetzky couragiert genug um auf der anderen Donauseite, nur 10 km von der alten Firma entfernt, 1975 seinen eigenen Betrieb zu gründen.
Die elegante erste neue Orgel aus der jungen Werkstatt für die Pfarrkirche von Unterbergern sollte für lange Zeit seine Visitenkarte sein, war sie doch der Beweis dafür, dass er fähig war, auch ohne väterlichen Rückhalt Eigenes zu leisten.
Seine USA Erfahrung brachten ihm schon nach kurzer Zeit ehrenvolle Aufträge im Großraum New York und der Kulturstadt Cleveland.

Und immer wieder war seine erste Orgel in St. Louis mit ihrem ästhetischen Klang der verbindende Anfangs- wie Ausgangspunkt.
Neben ersten Studien und Versuchen mit neuen klanglichen Stilmitteln, wie „flexibler Wind“ oder von Hand gedünnte Pfeifen, führte eine erste Studienfahrt zu oberitalienischen Orgeln, verbunden mit einem Venedigbesuch im Jahr 1980, zu einer Wende in Gerhards Klangwelt. Der weiche bis sanfte Klang historischer ital. Orgeln, vereint mit „weichem Strahlen“ von verschiedensten Klangfarben („molta varietá e bizzaria dei voci“) und die damalige Wertschätzung der Italiener „per l'arte organaria“ ließen sein offenes Ohr nicht unberührt. Weitere Studienreisen ins Veneto und in die Toscana brachten ihm grundlegende, neue Erkenntnisse. Gerhard erkundete die Besonderheiten ital. Bleipfeifen und Zungenstimmen, erlernte die Sprache um richtig „hören“ zu können und baute 1981 in der Servitenkirche in Wien seine erste „italienisch singende Orgel“.
Ein Staunen und Raunen ging durch die Wiener Orgelszene, Respekt kam aus Italien.

Die Italienismen in Gerhard waren von nun an gefestigt. 1985 folgte eine „Toskanische Orgel“ für Cleveland, bald darauf ein italienisches Orgelpositiv für das berühmte Cleveland Museum of Art.

Neue Orgeln in Rom, im Veneto und Restaurierungen (Possagno, Tempio di Canova und Musikschule Treviso) runden das Bild des vielseitigen Klangkünstlers ab.
Besondere Wertschätzung erhielt Hradetzky III mit dem Auftrag für die Denkmalskirche von Gates Mills, Cleveland („Historic Landmark“). Hieß es doch: „Hradetzky only can build you visually and tonally a suitable instrument “, und so verewigte sich Hradetzky III im fernen Mittelwesten nicht nur mit einer feinen Orgel....!

Modell Milleniumsorgel Dom Treviso 2000Der Auftrag zum Bau der neuen Domorgel in Treviso wurde letztlich zum Höhepunkt der bald 40ig jährigen Karriere des „Kremser Meisters“. Die sogenannte Milleniumsorgel mit über 3500 Pfeifen und einer Fülle von Stimmen in einem Orgelschrank (cassa armonica) von über 10m Höhe war schon seit Mitte der 90iger Jahre im Gespräch, doch erst die herannahende Jahrtausendwende führte zur Auftragsvergabe.
Das gewaltige Instrument überstieg jedoch die Lieferkapazität des achtköpfigen Betriebes. Gerhard gewann die renommierte Schweizer Orgelbaufirma Kuhn als Partner und in einem gemeinsamen Kraftakt wurde trotz der sehr engen Lieferzeit das größte neue Orgelwerk Oberitaliens am 15. November 1999 pünktlich fertigstellt.

Das Klangbild („tonal design“) der Domorgel und die gesamte Tongebung, wie auch die Intonation der Orgel im Kirchenraum, kam, wie bei allen Instrumenten des Meisters nicht nur aus seiner Hand, sondern auch aus der Vielfalt seines musikalischen Könnens und aus seinem Herzen.
Mit seinem Lebenswerk in Treviso, in das Gerhard Hradetzky alle klanglichen Erfahrungen seines Lebens hineingelegt hat, hinterlässt der Meister einen Spur des Lichtes auf dem oft schwer zu beschreitenden Weg des Orgelbaues und der Orgelmusik.
Noch einmal schien ihn das Glück zu begünstigen! Eine vielseitig verwendbare Chororgel für den Stephansdom in Wien war gefragt. Der Domorganist, kein geringerer als Prof. Planyavsky, der Dombaumeister und das Kapitel favorisierten den Meister und der Auftrag wurde am 14. April 2000 an Hradetzky III vergeben.
Entwurf drehbare Orgel Maria Pocs Stephansdom Wien copyright Gerhard Hradetzky 2001Ein der Formensprache des gotischen Domes entsprechendes Werk mit zwei Schauseiten (Prospektfronten!) und 16 Register war das Konzept. Darüber hinaus sollte die Maria-Pocs-Orgel drehbar werden und das auf Knopfdruck vom Spieltisch aus! Ein noch nie gebautes Unikat, das sich auf Wunsch des Organisten zu jedem der Seitenaltäre des Domes ausrichten und erklingen ließe.

Der Stephansdom, ja Wien, hätte dadurch eine klangliche Rarität von internationaler Güte erhalten.
Doch es sollte anders kommen. Der bereits in Arbeit befindliche Auftrag wurde ohne sachliche Gründe storniert, das geniale Projekt mit Verlusten verworfen.
Der Ausspruch, der im Kopf Gerhard Hradetzkys unvergessen blieb, kam am 6. März 2001 um 18.30h von der verehrungswürdigen Exzellenz.... „auf englisch“ (!): „We have to get out of it!“
Obwohl der Meister mit seinen Orgeln Jahre in den Vereinigten Staaten verbracht hat, versteht er diesen Satz bis heute nicht!
Das Scheitern des Auftrages hinterließ nicht nur eine Narbe in der Seele des Meisters, auch die darauffolgende wirtschaftliche Krise (Arbeitsausfall über Monate) veränderte die Arbeitsphilosophie Gerhards.
Einen bedeutenden Auftrag, die neue Orgel von Paudorf bei Göttweig, galt es noch zu bewältigen. Geweiht durch Kardinal König am 20. Oktober 2002, erfüllte sich auch der Traum einer Symbiose von Geometrie der Orgelarchitektur und Klang-Farben Architektur der Orgelregister.

Hradetzky III verkleinerte nun den Betrieb, konzentrierte sich von nun an auf die Kunst der Klanggestaltung, resp. Intonation und die liebevolle Pflege seiner Instrumente weltweit. Auch zog es Gerhard verstärkt nach dem Süden in sein geliebtes Veneto!
Italien mit Geschmack für das Schöne und Wertvolle, verbunden mit Sinn für Kunst und Handwerk beschenkte dafür den Meister regelmäßig mit Arbeiten und Wertschätzung.
Und so stehen bis zum heutigen Tag weit über ein Dutzend Instrumente in dem Land, wo neben den Zitronen auch Hradetzky-Orgeln blühen.

Wer den Meister heute finden will, muss schon ein wenig suchen. In seinem „Reich“ findet man nicht nur die Geheimnisse der Orgelklänge, sondern auch viel Natur und Ruhe.

„Hörst du das Rauschen des Baches? Das ist der Weg!“ (Zen Weisheit)

Die vollständige Werkliste von Hradetzky III finden sie unter Werkliste Gerhard Hradetzky III.

   
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